Vor ein paar Wochen habe ich nach langer Zeit mal wieder einen Kinderfilm gesehen: „Drachenzähmen leicht gemacht“. In der Geschichte geht es darum, dass ein kleiner Junge einen Drachen findet und mit viel Geduld sein Vertrauen gewinnt.
Kaum ein Thema wird in Wellensittich-Foren so kontrovers diskutiert wie das Zähmen von Wellensittichen. Das ganze Spektrum an Meinungen ist dort vertreten: von „lasst die Tiere ganz und gar in Ruhe“ bis hin zum zwanghaften Vorzähmen in Einzelhaft. Wer hofft, dass sein Wellensittich – egal mit welcher Methode – anhänglich wie ein Hund wird, den muss ich nun leider enttäuschen, denn Wellensittiche sind Fluchttiere. Im Gegensatz Hunden oder Katzen, die klassische Beutegreifer sind, sichert der Fluchtinstinkt den kleinen Australiern in der Natur das Überleben. Aber nicht nur die Flucht, sondern auch der Schwarm bieten dem Vogel Sicherheit. Daher ist vom Vorzähmen in Einzelhaft dringend abzusehen! Ob ein Wellensittich zu seinem Halter Vertrauen fasst und auch mal „kuscheln“ kommt, hängt einzig und allein vom Charakter des einzelnen Tieres ab – da hilft auch Einzelhaltung nicht! Um gleich mit noch einem hartnäckigen Vorurteil aufzuräumen: das Alter des Tieres spielt keine Rolle.
Ich sehe es jeden Tag auf’s Neue in meinem Schwarm: Während Violetta, Filuzzo und Icaro (alles ältere Abgabewellis) schon nach wenigen Wochen zu mir kamen, brauche ich seit zwei Jahren bei Chiocciolina ohne Gurke, Hirse und Möhre erst gar nicht ankommen, dabei ist sie die Einzige, die ich habe, seit sie 7 oder 8 Wochen alt ist!
Zurück zum „Zähmen“: Per Definition des Dudens, bedeutet zähmen, einem Tier seine Wildheit zu nehmen. In Wikipedia heißt es darüber hinaus: „Zähmung bezeichnet die Anpassung des Verhaltens von Wildtieren an die Bedürfnisse des Menschen“. Wenn man sich in Wellensittich-Gruppen umhört, dann kommt man noch zu einer dritten Definition: „Ich möchte, dass sich mein Wellensittich wie ein Plüschtier verhält, mit dem ich kuscheln und spielen kann, wo und wann es mir gefällt“. Noch immer kaufen viele Eltern ihrem Nachwuchs einen Wellesittich, in dem Glauben, es sei ein kleiner lustiger Spielgefährte für das Kind. Nach ein paar Wochen findet man diese Tiere dann auf ebay Kleinanzeigen wieder – wenn sie Glück haben!
Warum also diese Überschrift? Ein rhetorischer Trick um die Neugierde zu schüren? Nein! Unter dem Aspekt der Beschäftigung und des Medical Trainings, also dem Trainieren für medizinische Behandlungen beim Tierarzt, ist gegen das „Zähmen“ aus meiner Sicht nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Ich bin nach dem Bauchbruch von Violetta im Oktober 2015 von meiner vogelkundigen Tierärztin dazu aufgefordert worden, meine Tiere täglich „liebevoll zu scheuchen“ und regelmäßig zu wiegen, damit mein Hummelchen von ihren 67 g (!!!) runterkommt. Jedes Mal, wenn ich mit meinem Matheblock Richtung Gardinenstange winkte, hat sich Violetta vor Schreck von oben runterfallen lassen – irgendwie verständlich, meint ihr? Da der Deutschblock und das Italienischwörterbuch allerdings den gleichen Effekt hatten, musste ich mir eine stressfreiere Variante ausdenken und fing an, mit Violetta zu trainieren. Ich rufe, sie kommt und erhält eine Belohnung. Bei Violetta greife ich natürlich nicht zur Hirse, sondern belohne mit Gurke – die liebt sie auch und ist nicht so kalorienreich! Inzwischen kann ich sie von jeder Stelle des Zimmer aus heranrufen, ganz egal ob ich auf dem Boden sitze, auf dem Sofa stehe oder mich am anderen Ende des Zimmers befinde. Es dauerte nicht lange, da machte der ganze Schwarm mit und die 5-Minuten-Übung ist Teil unseres täglichen Rituals geworden. Selbst Antonia und Icaro, die beiden Neuen, flitzen durchs Zimmer, wenn ich rufe.
Damit euer Training nicht nur euch, sondern auch euren Flugsauriern Spaß macht, hier nun einige wichtige Regeln:
- Lasse deine Tiere niemals hungern, um damit schnelle Trainingserfolge zu erzwingen.
- Bedränge deine Wellensittiche nicht und achte auf ihre Körpersprache.
- Beachte Ruhezeiten.
- Respektiere den Käfig als Rückzugsort.
- Sei geduldig und übe lieber täglich 2-5 Minuten, anstatt deine Tiere mit langen Trainingseinheiten am Wochenende zu überfordern.
- Sei eindeutig in deiner Kommunikation.
- Variiere die Übungen und gestalte sie immer wieder interessant.
- Höre auf, wenn es am Schönsten ist.
In diesem Sinne: Film ab! 😉
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Das mit dem Charakter kann ich nur bestätigen!! Unser zugeflogener Hansi konnte uns lange Zeit gar nicht leiden, weil wir ihn mit Medizin aufpäppeln mussten. Seit neuestem kommt er aber hin und wieder auf meinen Arm geflogen, wenn ich lerne, und sieht sich dort neugierig um. Es besteht also Hoffnung, dass er eines Tages wieder ganz zutraulich wird 🙂
Der gelb-grüne Schecke in dem Video ist auch gefunden worden und kam über Umwege Ende September zu mir. Inzwischen ist er mein eifrigster „Schüler“, wenn es um das Trainieren und die Abrufübung geht. Briciolino hingegen habe ich vor über zwei Jahren bekommen, da war er 9 Wochen alt… seit ein paar Monaten traut er sich endlich! Ich kann es nur immer wieder sagen: a) Geduld und b) Charakter entscheiden schlussendlich über die Zutraulichkeit. 🙂
Wie hast du ihnen beigebracht, auf Kommando zu kommen? Indem du immer wieder “komm“ gesagt hast, wenn sie angeflogen kamen?
Ja, eigentlich habe ich anfangs nur mit der übergewichtigen Violetti geübt. Da sie mich aber manchmal beharrlich ignoriert, hatten die Jungs irgendwann wohl Mitleid mit mir… 😉