Tierhaltung heißt Verantwortung

Tiere haben einen sechsten Sinn, wenn man einen Tierarztbesuch plant. Moment – ich spezifiziere! Während die Jungs aufgrund mangelnder Sensibilität nichts checken, riechen die Mädels schon Tage vorher die Lunte: Chiocciolina tritt in den Hungerstreik, Antonia kriegt nervöse Angstzustände, Violetta bekommt Durchfall… und ich zeige alle drei Symptome!

Die Tage werden länger, draußen grünt und blüht es und eigentlich müsste ich beim Anblick meiner Balkondeko richtig gute Laune haben – eigentlich! Denn immer, wenn man glaubt, jetzt sind alle Wehwehchen ausgestanden, kommt es noch schlimmer. Das sind die Momente, vor denen sich jeder Tierbesitzer fürchtet: Erst ist es nur ein leiser Verdacht, eine kleine Verhaltensveränderung, die einem auffällt, dann gibt das Röntgenbild die traurige Gewissheit: Briciolino hat einen inoperablen Tumor!

Nur wenige Tage zuvor unterhielt ich mich mit Bekannten auf einem Papageienstammtisch über Wellensittiche und meinte noch, dass alle meine Tierchen irgendein Leiden hätten, nur mein kleiner „Zooladen-Hahn“ nicht, obwohl man gerade dort am ehesten eine profitorientierte Zucht unterstellen könnte. Wie es das Schicksal will, fiel mir ein paar Tage später bei Briciolino auf, dass seine Zehen am linken Ständer nicht mehr richtig zugriffen und taub zu sein schienen. Zwar hätte es auch eine Überdehnung oder Verletzung der Bänder sein können, da der Kleine zu diesem Zeitpunkt an diesem Fuß noch beringt war, aber mein Instinkt sagte mir etwas anderes. Es ließ mir keine Ruhe und so motivierte ich in meiner Mittagspause meinen Freund kurzerhand zu einem „Familienausflug“. Da wir eh einen halbjährlichen Check mit Krallenschneiden und Verlaufskontrollen bei Chiocciolina und Violetta planten, wollten wir bei der Gelegenheit nicht nur Briciolino, sondern gleich alle Wellis mit zu unserer Tierärztin nehmen.

Mein perfider Plan war folgender: Mein Freund sollte nicht nur den Transportkäfig vorbereiten, sondern auch alle sechs Wellensittiche einfangen, somit für alle Ewigkeit bei ihnen verkacken und ich komme nach der Arbeit ganz entspannt nach Hause, solidarisiere mich mit meinen armen Tierchen, befreie sie nach dem Tierarztbesuch aus ihrem Elend, spendiere Einmal Hirse für alle! und lasse mich als Heldin feiern!

Ich mach’s nicht spannend: FEHLANZEIGE! Der Chatverlauf mit meinem Liebsten sagt wohl alles…
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…und ihr könnt euch denken, wer mal wieder die Böse sein musste! Beim Tierarzt angekommen, machte ich mich auch da unbeliebt – aber was hatte ich erwartet, so kurz vor dem Ende der Sprechzeit mit sechs Wellensittichen?

Bei Briciolino wurde erstmal der Ring abgenommen und auf Verdacht auf Nierenentzündung behandelt. Eine Woche später wurde dann das Röntgenbild von meinem kleinen Schreihals angefertigt und brachte die traurige Bestätigung: er hat einen Hodentumor. Die Chefin riet mir von einer OP ab, da sich an dieser Stelle eines der Hauptadern befindet und die Überlebenschancen bei nur 20 % liegen. Sie empfahl mir unter Vollnarkose einen Hormonchip setzen zu lassen. Briciolino wurde noch am selben Abend operiert und konnte am Folgetag abgeholt werden. Bis Mittwoch macht der lebhafte Wellensittichhahn noch im Quarantänekäfig den Kolibri und muss sein Baytril trinken, dann darf er wieder zu den anderen. Der Chip muss, wenn er gut anschlägt und das Tumorwachstum stoppt, alle 8-10 Monate ausgetauscht werden.

Seit September war ich in wechselnder Begleitung mindestens einmal im Monat in der Vogelpraxis. Daher ist es mir eine Herzensangelegenheit euch nochmal darauf hinzuweisen, wie wichtig es ist, sich über die häufigsten Krankheitssymptome bei Wellensittichen zu informieren, um RECHTZEITIG einen Tierarzt aufsuchen zu können. Auch möchte ich als Vogelpraxis-Premium-Platin-Kundin darauf hinweisen, dass die Tierhaltung – egal ob Hund, Katze oder eben Wellensittich – ein sehr teures Hobby ist. Bitte überlegt es euch daher vor der Anschaffung, ob ihr in der Lage seid, mehrere 100 Euro im Jahr an Behandlungskosten zu tragen. Tierhaltung heißt Verantwortung! Und die Verantwortung fäng da an, wo der Spaß aufhört und die Tierhaltung Geld kostet!

An dieser Stelle möchte ich mich bei meiner Mutter und bei meinem Vater für die moralische Unterstützung, den Fahrservice und den finanziellen Support in 20 Jahren Wellensittichhaltung bedanken. Vielen, vielen Dank, Mama und Papa! Selbstverständlich gilt mein Dank auch meinem Freund, der weiß, wie wichtig mir meine Tiere sind, im Notfall immer für uns da ist, verstorbene Wellis würdevoll beerdigt, mich in solchen Situationen tröstet und einer Wohnung mit extragroßem und lichtdurchfluteten Wellensittichzimmer zustimmt! Danke an meinen kleinen Bruder, der eine verlässliche Urlaubsvertretung ist und der sich in meiner Abwesenheit gewissenhaft um meine Tiere kümmert. Einen großen Dank auch an das Team der Ziervogelpraxis von Frau Dr. Kling, die im Notfall auch außerhalb der Öffnungszeiten für ihre gefiederten und federlosen Kunden da sind.    

Angstneurose

Da war es schon wieder, dieses Wort: Angstneurose. Hatte ich es nicht erst vor zwei Wochen nach meiner OP gehört? „… Angstneurose, da muss man ‚was machen“, quatschte die Stimme der Tierarzthelferin in meinen Gedankengang, während wir das Behandlungszimmer betraten.

In ein paar Wochen bekommen wir wieder Urlaubsgäste, daher war klar, dass wir vor der Zusammenführung zum Kontrollcheck müssen. Violetta bestimmte den Tierarzttermin, der wie ein Damoklesschwert über der Voliere hing, selbst, indem sie sich im Vorhang eine Kralle bis zum Blutgefäß abbrach. Es hörte zwar glücklicherweise schnell auf zu bluten, aber da ich kein Desinfektionszeug zur Hand hatte, beschlossen wir kurzerhand am folgenden Morgen die Vogelpraxis aufzusuchen. Bei diesem Gadanken bekam ich gleich ein flaues Gefühl im Magen, hatte doch die letzte Einfangaktion damit geendet, dass mir Filuzzo im Kescher in Ohnmacht gefallen ist, Chiocciolina und Violetta hyperventilierten und Briciolino sich dem Tierarztbesuch durch ausbüxen entzog. Diesmal wollte ich es besser machen und stellte bereits am Vorabend den Transportkäfig mit Hirse bestückt neben die Voliere. Man kann nun über das männliche Geschlecht sagen, was man will – mutig, verfressen oder böse Zungen behaupten zuweilen auch etwas dümmlich – auf jeden Fall ersparten mir Filuzzo und Briciolino ein stressiges Einfangen, indem sie zu meiner Überraschung freiwillig in den Käfig kletterten. Erst als die Hirse restlos aufgefressen war, erkannten sie den fatalen Irrtum… die Mädels hingegen durchschauten den Trick sofort und saßen, außnahmsweise in friedlicher Eintracht, nebeneinander auf der Gardinenstange. Erst vier Stunden später gegen 22 Uhr trieb der Hunger sie in die Voliere zurück, wo ich zumindest Chiocciolina im Dunkeln von der Stange pflücken konnte. Violetta hatte ich kurzzeitig auch in den Transportkäfig gesetzt, aber da sie ihren Frust an Briciolino ausließ, hielt ich es für alle das beste, wenn sie die Nacht in der Voliere verbringt. Das schöne an dicken Wellis ist, dass man sie tageszeitenunabhängig relativ leicht fangen kann. Hinzukommt, dass Violetta die Wochen vorher von mir regelmäßig aus dem Vorhang operiert worden ist und sich einfach nach hinten fallen lässt, wenn ich meine Hand sanft um ihre Flügel lege.

An dieser Stelle möchte ich gerne noch einmal auf das richtige Greifen von Wellensittichen (und anderen kleineren Vögeln) eingehen, da man im Netz zuweilen gruselige Bilder sieht. Beim Greifen muss man seine Hand um die Flügel legen, sprich den Vogel von hinten und nicht von vorne greifen, da man sonst den empfindlichen Luftsack abquetschen könnte. Eine leichte Rückenlage mit dem Kopf nach oben ist für den Vogel in dieser Situation am angenehmsten und für den Halter am besten, da er so das Tier gut kontrollieren und ggf. abtasten kann. An meinem Violettaersatz seht ihr, was ich meine:

Trotz des relativ stressfreien Einfangens standen wir nun mit klopfenden Herzen vor der Tierärztin – Chiocciolina und ich waren der Ohnmacht nah. Da soll nochmal einer Sagen, nur Hunde gleichen ihren Besitzern (oder umgekehrt)! Um Chiocciolina weiteren Stress zu ersparen, wurde sie nach dem Check und dem Wiegen in der Pappschachtel gelassen, während einer nach dem anderen gefangen und untersucht wurde. Durch den kleinen Schlitz in der Schachtel heraus blickte sie mich mit böse funkelnden Augen an – ganz so, wie ich zwei Wochen vorher die Schwester, die mir die Drainagen ziehen sollte – und ohne Worte verstand ich meine kleine Chefin: „Das ist eine S-C-H-E-I-ß-I-D-E-E von dir gewesen!“